Tag 1
Steifer Nacken, 30 Grad, die Frisur hält keine weitere Stunde im Flieger aus. Wir erreichen Bangkok am frühen Morgen und purzeln recht rumpelig auf die Landebahn. Unser Qatar Flieger ist ansonsten ein schickes Ding, circa 200 Filme, 200 Fernsehprogramme, 1000 Musikwünsche, Schlafmaske, Ohrstöpsel, Söckchen, Abendbrot und Frühstück, unwahrscheinlich gutaussehendes Servicepersonal. Ein bisschen laut, der fliegende Blechkasten, aber so hören wir wenigstens wie wir die Luft verpesten.
In Bangkok verbringen wir die ersten 45 Minuten auf Laufbändern zur Passkontrolle und zu unseren Taschen. Rucksäcke geschultert und los geht's mit dem Zug nach Bangkok City. Circa 1 Euro pro Person, nicht schlecht.
Unser Hostel, das Lub D, liegt in einer Seitenstaße der Silom Road. An der Rezeption sitzt ein ziemlich korpulenter Thai mit amerikanischem Akzent und einem T-Shirt, auf dem "no money, no honey" steht. Unser Zimmer braucht noch 2 Stunden für den Morgenputz. Wir verdösen die Zeit in der Lobby. Dann ab ins Dopplstockbett und erstmal drei Stunden Nickerchen. China Town Food Tour, 150 Baht (3,75 €). Klingt super, wir sind dabei. So quetschen wir uns nach Sonnenuntergang mit einer handvoll weiteren Backpackern in ein Tuktuk und rasen mit 70 kmh durch Bangkok. Ganz ehrlich, wenn der Fahrer mal scharf bremmst... Naja, wir lachen den Gedanken weg. Plötzlich stehen wir mittendrin, Straßenzüge voller Leuchtreklame mit chinesischen Schriftzeichen, Straßenverkäufer, die Spieße, Wantans, Suppen, Mangos, Nudeln, Maronen, Klamotten und Devotionalien anbieten. Overload. Ich bin von allem abgelenkt. Unser Vorsatz, nicht unbedingt mit den deutschen Touristen abzuhängen, ist sogleich über Bord geworfen, als wir Paula und Till aus Potsdam kennenlernen. Till ist MC und malt. Ausgestattet mit Bier, Weinschorle und ungenießbaren Energiedrinks quatschen wir uns in der Hotellobby warm und schmieden Reise-Pläne. Clyde und Deryl aus Malta schließen sich uns an. Fasziniert stellen wir fest, dass Karime maltesisch versteht, denn wer hätte gedacht, dass in Malta ein maghrebinisch-arabischer Dialekt gesprochen wird. Doch nun heißt's erstmal: sawadee kha (Guten Tag)! Auf geht's Bangkok!
Tag 2
Gegen 12 Uhr beendet der Wecker unseren Schlaf. Ich will Wasserspinat (Morning Glory) zum Frühstück, also gehen wir in die nächste Seitengasse und setzen uns in eine Straßenkantine. Auf der gegenüberliegenden Straßenseite leuchtet das goldene Türmchen der Meerazzudin Moschee im Himmel. Unser Ziel des Tages: ein Hochhaus mit Dachterasse finden. Wir laufen bis zum Fluss und man will uns eine 2 stündige Bootstour für 1000 Baht andrehen. Mmm, nö. Erste Dachterasse auf einem Appartmenthaus gesichtet. Wir belagern auch sogleich die Pförtner. Denen ist sichtlich unwohl bei der Sache, doch nach einem Versprechen, keine Fotos zu schießen, dürfen wir in den Fahrstuhl. 31. Stock, geiler Blick. Schon gleich bereuen wir unser Versprechen. Wir entdecken jedoch eine wunderschöne Dachterrasse auf gleicher Höhe im Hilton an der anderen Uferseite. "Kurp kun kha" (Danke) an den Pförtner und auf zur Fähre. 3 Baht. Circa 8 Cent. Juhu. Das Geld ist gut angelegt, denn die Cocktails auf dem Hilton wissen nicht, dass sie in Thailand sind. Aber das ist es uns wert. Wir verbringen dreieinhalb Stunden auf diesem Dach und schießen eine Million Fotos. Am Abend geht's wieder nach China Town ins Roasted Duck Restaurant auf der Yaowarat Road. Karime genießt seine tote, rotbraungebrannte Ente und ich mein Gemüse mit Reis. Ich weiß nicht, wer den Tofu nach Deutschland brachte, die Thais waren's nicht. Die mögen Fleisch, am liebsten Schwein und Huhn. Neben uns sitzen vier bullige, finster drein blickende Männer und löffeln in Windeseile einen großen Eintopf. Jeder hat ein unfassbar dickes Bündel Scheine in der Hand. Vier Kellnerinnen wuseln um sie herum. Doch bezahlen mussten sie nichts. Glauben wir einfach mal, sie waren früher eine bekannte Boygroup.
Am Abend ziehen wir mit Paula und Till noch einmal durch die Seitenstraßen der Silomroad. Hier kann man ganz viel Ping Pong spielen oder dabei zugucken. Jedenfalls wollen uns ständig Menschen zu Ping Pong Shows einladen. In einem der Klubs stehen mehr junge Bikini-Frauen nebeneinander an der Stange als vermutlich auf der ganzen Reeperbahn. Ich kann mir nicht helfen, aber ich betrachte nun jeden älteren, allein reisenden Mann mit europäischen Käsebeinen in Hawaihemd und kakifarbener Hose mit Argwohn.
Tag 3
Hätte ich gewusst, wie anstrengend dieser Tag wird, ich hätte mich nicht schon um 8 aus dem Bett gequält. Wir haben Jetlag. Letzte Nacht lagen wir um 4 Uhr immer noch mit aufgerissenen Augen im Bett, der Körper müde, der Geist wie ein Kasper mit Megafon. Wir sangen Werbejingles von Zott Joghurt und McDonalds, dichteten Geschichten, bei denen jedes neue Wort mit dem letzten Buchstaben des vorherigen beginnen musste. "Mit Zott Sahnejoghurt ... " - schlimm, wie sich diese Melodien für immer ins Gehirn brennen. Doch es half nichts. Nach einem 2,5 stündigen Nickerchen überkommt mich die Vernunft und ich springe, dem Jetlag den Kampf ansagend aus dem Bett und mit der Zahnbürste ins Bad. Bei Karime springen noch die Schäfchen, er dreht sich wieder um.
Ich habe gelesen, dass man im Lumphini Park morgens Tai Chi macht. Das will ich sehen. Auf dem Weg hole ich mir mein Gemüse mit Reis. Als es da so auf meinem Teller liegt, schaue ich mir die offene Straßenkantine genauer an. Ich sitze in einem Hofeingang, das bereits vorgekochte Essen ist schon etwas kalt, etwas eingedickt, die Verkäufer lümmeln lustlos auf Plastikstühlen, neben mir stillt eine Frau ihr Kind. Das weiße Zeug auf meinem Teller ist gar kein Tofu; es schmeckt eher nach kalter Weißwurst ohne Pelle, in Scheibchen geschnitten. Vielleicht ist es Fisch, vielleicht. Ich bin wieder 6 Jahre alt und schiebe alles irgendwie an den Rand. So sieht es aus, als hätte ich mehr gegessen. Schnell bezahlt und mit einem mulmigen Gefühl weg. Leicht panisch trinke ich einen halben Liter Wasser auf ex. Tja, Durchfall, so leicht kriegst du mich nicht. Im Park finde ich noch einen einzigen Tai Chi Mann. Es ist kurz nach 9 Uhr. "Morgens" ist hier anders. SMS von Karime; der ist inzwischen erwacht. Ich finde ihn mit dicken Augen und einer Tasse Tee in der Lobby.
Wir wollen heute eine erschwingliche Bootsfahrt suchen und nach Thon Buri, westlich des Flusses, fahren. Wir finden schließlich eine Fähre, die uns für 15 Baht (30 Cent) den Fluss hochbringt. Der Unterschied zwischen Preisen für Thais und Touristen ist schon enorm. (1000 Baht am Tag zuvor) Das wird uns noch öfter auffallen und manchmal ärgern. Aber eigentlich ist es auch ok. Wenn Millionen Touristen jährlich durch die alten Tempelanlagen trampeln, die meist umsonst sind, und zudem oft bewohnt von Mönchen, dann sollten sie wenigstens an anderer Stelle mal etwas tiefer in die Tasche greifen.
Unsere anschließend großartige Idee ins Indische Viertel zu gehen und ein tolles Restaurant zu finden, entpuppt sich als kompletter Reinfall. Wir finden uns in einem der dichtesten Märkte Bangkoks wieder, tausende Textilverkäufer, Kantinen, Suppenküchen, Goldschmuckläden, aber keine indischen Restaurants. Wir laufen durch einen der größten Blumenmärkte, den ich je gesehen habe und können uns doch kaum daran aufhalten, denn der Hunger treibt uns weiter. In Bangkok gibt es hunderte Tempel, große, kleine, private Haustempel und manchmal nur Gaben an die guten Geister an der nächsten Straßenecke. Alle Gaben, Tempel, buddhistischen und hinduistischen Bildnisse werden täglich mit frischen Blumenkränzen dekoriert. Immer wieder fällt mein Blick auf Bordsteinkanten, Straßenlaternen oder Baumwurzeln, in denen Mini-Mahlzeiten zusammengestellt stehen. Ein Schälchen Reis, zwei Stückchen Mango oder Papaya, ein Blumenkränzchen und eine Flasche Fanta. Natürlich offen und mit Strohhalm. Der Schutzgeist soll sich rundum wohl fühlen.
Wir haben aber immer noch Hunger. Wir finden 3 Kantinen, die, in einen Hinterhof gequetscht, mit einem vorgekochten Buffet, Plastikstühlen und zerknitterten Tischdeckchen zu locken versuchen. Unser Glück sollte vielleicht noch nicht allzu sehr strapaziert werden.
Aber liebes Chinatown, auf dich ist immer Verlass. Nach einem fast endlosen Marsch durch diese menschenüberfüllte Megacity landen wir schließlich in einem Familienbistro. An der Wand hängen Fotos des stolzen Besitzers an der Seite von uns unbekannten Prominenten. Er jedoch ist unverkennbar: ein kleines, noch immer pubertierend aussehendes Oberlippenbärtchen, schütteres Haar, und ein zementiert wirkendes, immer identisches Lächeln. Wir widmen uns der Karte. Gebratener Reis mit Cashews, Gemüse und wahlweise mit Hühnchen. Ja bitte, vielen Dank. Guten Appetit. Wir brauchen eine Pause. Ein Tuktuk bringt uns zum Sanam Luang Platz neben dem Palast. Wir lassen uns auf den perfekt gepflegten Rasen nieder und genießen die kühle Abendbrise. Aus unserem Handy plärrt Rapmusik. Tatsächlich eine unfassbare Entspannung für unsere Ohren, die seit 3 Tagen nur furchteinflößende, thailändische Schlagermusik hören dürfen.
Einen Block weiter schmeißen wir uns zurück in den Wahnsinn dieser Stadt. Koh San Road, das Mekka der Rucksackreisenden, erinnert uns einfach nur an die Reeperbahn. Hier kann man vor allem Geld ausgeben, Cocktails schlürfen, Raupen, Grillen und andere Schweinereien naschen oder wieder mal Ping Pong spielen. Karime wird in einen Schneiderladen gezogen und bekommt sehr unfreiwillig eine komplette Anzugberatung, Schnitt, Stoff und Katalogmodell – alles wird blitzschnell ausgesucht. Als der Schneider bereits beginnt ihn zu vermessen und die Anzahlung zu berechnen, kämpfen wir uns endlich aus den Klauen dieser findigen Geschäftsmänner und verdrücken uns ins Gewimmel der Straße. Mindestens drei Schneider versuchen es anschließend ebenso. Wir beschließen Karime als Inder auszugeben, der sich seine Anzüge selber schneidern kann. Es regnet inzwischen in Strömen. Die Taxi- und Tuktukfahrer wittern ihre Chance auf horrende Preise. Wir spielen eingeschnappt und fahren nach zähem Verhandeln mit dem fünften oder sechsten Fahrer endlich zurück zur Silom Road. Mit Eierkuchen, Spießen, Mango und Sticky Rice beladen geht's ab ins Hostel.
Tag 4
Es soll am Siam Square Einkaufszentren geben. Na gut, es regnet, also was soll's. Ich habe noch NIE in meinem ganzen Leben so einen Konsumtempel gesehen. Es erwartet uns ein überdimensionales, raumschiffartiges Betongebilde, durchkreuzt von den Betontrassen der Stadtbahn, eingerahmt von dutzenden Seitenstraßen mit tausenden Geschäften und flankiert von Einkaufszentren, eines größer als das andere. Wir suchen einen Skateboardladen, einen bestimmten; es ist aussichtslos. Wir gehen letztendlich ins MBK Center. Auf der Computerspieletage sehe ich thailändische Schüler in Schuluniform Ballerspiele spielen; ein junger Mann im Bankangestellten-Look springt todernst in seinem weißen Hemd und Anzughose auf bunten Feldern herum und versucht eine Choreographie nachzutanzen. Ich schau ihm ein bisschen zu und denke, der kann das, der macht das öfter. Zum Glück kann man hier drin nicht schwitzen, denn hier wird nach norwegischem Ideal klimatisiert.
Ich beschließe nichts zu kaufen und erwerbe 10 Minuten später im 5. Stock ein gelbes T-Shirt auf dem Singha-Beer steht. Gelb steht mir einfach. Nachdem ich auch noch zwei Hosen anprobiert und ein tropisches Mückenspray gekauft habe, flüchten wir aus dem Center. Auf dem Vorplatz finden Demonstrationen der thailändischen Demokraten statt. Es spielt eine Popband. Viele Fotos werden geschossen. Menschen tragen Stirn- und Armbänder in thailändischen Nationalfarben und trillern wild mit ihrem Pfeifen, die man zur Zeit überall für 10 Baht erwerben kann. Wir wollen weiter und checken am Bahnhof die Züge nach Ayutthaya. Im Hotel wird die erste Ladung Wäsche gewaschen und endlich fühlen wir uns wie Backpacker.