Tag 16 – Chiang Rai
Ich erwache mit frischer Energie und begrüße den nun grünlich schimmernden Philipp auf dem Balkon. Pünktlich im 24-Stundenrhythmus hat es uns alle für einen Tag hingerafft, doch wir wollen weiter und Philipp beißt die Zähne zusammen. Zwei Stunden später, die Hände in der Tasche wühlend, wo mal die Kreditkarte war, ist er dann auch wieder hellwach. Wir verstreuen den gesamten Inhalt des Rucksacks auf dem Busbahnhof, doch die Karte bleibt verschwunden. Ein Anruf bei der Bankhotline, Karte gesperrt, und die erste Geldquelle ist versiegt. Totti und Philipp wollen 3 Monate bleiben. Jetzt heißt es, Augen auf und Bares im Schlübber verstecken. Drei Stunden später sind wir in Chiang Rai. Die Reisekrankheitstablette entfaltet auch diesmal wieder ihre volle Wirkung in Karimes Körper, der den Rest des Tages wie ein Opiumabhängiger mit halb geschlossenen Augen durch die Gegend schlurft. Wir nehmen uns das erstbeste billige Hotel (das Tourist Inn) und freuen uns über den Preis von 300 Baht. Vorerst. Chiang Rai empfängt uns mit einem freundlichen Lächeln auf allen Gesichtern. Wir genießen es, nicht ständig von Verkäufern, Taxifahrern und Tour Guides belagert zu werden und beschließen, Chiang Rai zu mögen. Die Stadt hat auf den ersten Blick weit weniger Charme als Chiang Mai. Die Straßenzüge wirken trister, angegrauter. Doch am Abend erleuchten in den Hauptstraßen tausende Lichterketten und ganz Chiang Rai findet sich auf dem Essensbazar des Nachtmarktes zusammen. Auf einer zentralen Bühne läuft das nächtliche Spektakel. Eine Band spielt zur Belustigung der Zuschauer eine Mischung aus Comedy und Karaoke. Zwischendurch laufen perfekt herausgeputzte Mannequins über die Bühnenbretter. Beim näheren Hinsehen sind diese mehr Manne als Mannequins, aber dies ist weder ungewöhnlich, noch sollte hier klischeehaft die Sextourismus-Glocken läuten. Im Reiseführer steht, dass die buddhistischen Thailänder schon allein religionsbedingt keine Menschen aufgrund ihrer Sexualität diskriminieren, was sicher trotzdem eine sehr optimistische Darstellung der Realität queerer Menschen ist. Begründung hin oder her, ich habe, seit wir in Thailand sind, viel mehr offen homosexuell, transsexuell oder queer lebende Menschen gesehen als in fast allen europäischen Städten, in denen ich war. Sowohl Frauen als auch Männer leben in allen Schattierungen von Sexualität. Beispielsweise verrieten nur die hohe Stimme und feinen Gesichtszüge das „Geschlecht“ unserer Hausmama in Chiang Mai. Die armeeschnittige Faconfrisur, die Baggyhosen und weiten T-Shirts und ihre Partnerin, mit der sie dort zusammenlebt, sprachen eher dafür, dass ich sie vermutlich fairerweise „Hausmann" oder einfach "Hausmensch“ statt „Hausmama“ hätte nennen sollen. Wir essen in einem Eckrestaurant, dass uns vom freundlichen Gästehausbesitzer von gegenüber empfohlen wird. Alle Menschen, die hier arbeiten, haben das Rentenalter vor gefühlt mindestens einem Jahrzehnt erreicht. Wir tippen auf die paar englischen Worte auf der Karte und unsere Kellnerin tippelt im Schneckentempo davon um ein paar Minuten später mit einer Lupe wieder aufzutauchen. Genügsam notiert sie unsere Wünsche. Mit Händen und Füßen bestellen wir letztendlich verschiedene Gerichte mit Hühnchen, Gemüse, Cashewkernen und Reis. Es schmeckt großartig. Mit gut gefülltem Bauch betrachte ich mir das Restaurant etwas genauer. Mit dem Charme einer Kantine wird hier im Minutentakt Essen aus der Küche zu den hungrigen Thais und Chinesen geschlurft. China ist nur noch 200km von Chiang Rai entfernt und die Stadt hat eine große chinesische Präsenz von Menschen, die Kommunismus nicht so dolle fanden. Vor dem zentral platzierten Flachbildschirm sitzt eine ganz alte Frau hinter einem vollgemüllten Schreibtisch und schlürft Nudeln. Dabei verfolgt sie mit hochkonzentrierter Miene die Telenovella auf der Mattscheibe und sieht dabei ihrer vermutlich ebenso alten französischen Bulldogge zum verwechseln ähnlich. Wir taufen sie die Boss-Oma. Den späteren Abend verbringen wir in der Kneipe gegenüber mit Billard, Dart, ein paar Bierchen und einer Rum-Cola für mich. Besoffene Engländer versuchen ein paar Thaifrauen abzuschleppen. Same Same überall in Thailand. Leider.
Tag 17 – Chiang Rai
Das Hotel stellt sich als große Fehlentscheidung heraus. Bei genauerem Hinsehen ist das Tourist Inn leider eine Drecksbude, mit merkwürdigen Larven an der Wand, einer Ameisenstraße direkt zu Philipps Kissen, und leider zudem extrem laut. Wir beschließen die Nacht vorsichtshalber wieder im Schlafsack zu verbringen und checken am frühen Morgen direkt aus. In der Yetlod Road finden wir das Orchid Hotel und schöne Zimmer mit Balkon für 500 Baht (circa 12,50 €). Gegen 21 Uhr werden am Südende dieser Straße die Billardtische hochgeklappt und die Happy-Ending-Massage Schilder rausgehängt. Hanky Panky und Prostitution, die traurige Geißel Thailands. Wir schmeißen unsere Rucksäcke ins Zimmer und Karime besteht darauf, dass ein Arzt einen Blick auf meine rotgepunkteten Beine wirft, ehe wir unseren Tag wieder verplanen. Ich jammere nun bereits seit 9 Tagen über meine juckenden, geschwollenen Bisse. Wir latschen also einmal quer durch Chaing Rai zum Overbrook Hospital, da es dort Englisch-sprechende Ärzte geben soll. Am Empfang werde ich quasi eingecheckt; die freundliche Krankenschwester hackt in Windeseile meine Passdaten, Adresse, Telefonnummer, Allergien und Beschwerden in einen Computer, macht ein Foto von mir und klebt mir ein grünes Bändchen ums Handgelenk. Ich denke, jetzt bin ich offiziell krank, und rutsche nervös, an die Rechnung denkend, auf meinem Stuhl hin und her. Die Ärzte haben gerade Mittagspause und so empfiehlt uns die Computerfrau solange den Tempel auf der anderen Straßenseite anzugucken, was wir auch prompt machen. Der Tempel Wat Phra Kaew ist wirklich wunderschön und tatsächlich eine Hauptattraktion der Stadt. Was für ein Zufall, gut, haben wir den auch gesehen, sagt Karime. Die Legende will es, dass der Tempel 1434 von einem Blitz getroffen wurde, der dabei eine Stupa spaltete und einen wunderschönen Emerald Buddha freilegte. So wie alle schönen Buddhas wurde auch dieser nach Bangkok verschleppt, aber es gibt eine Kopie, die angebetet werden darf, was ein paar Einheimische eifrig tun. Wir schlendern durch ein kleines Museum voller Buddhas, Elefantengott- Ganesha und Königsstatuen und ein Mönch ruft uns ein paar unverständliche Erklärungen dazu entgegen. Wir lächeln tapfer und verziehen uns in den zweiten Stock, wo ein zweiter Mönch gerade eine Gruppe Chinesen mit gesegnetem Wasser bespritzt. Karime und ich finden den Happy Buddha, die chinesische Buddhavariante, ein dicker, lachender Buddha im Schneidersitz, der so aussieht, als müsse er sich eigentlich anlehnen, am süßesten. Wäre der Buddha mein Vater gewesen, ob ich ihm wohl die Schokoriegel weggenommen hätte? Muss man einen Buddha vor zu hohem Cholesterin warnen? Zurück im Krankenhaus sitze ich in einer Empfangshalle, die ein wenig wie der Wartebereich in einem Flughafen aussieht. Ein großes Quadrat aus Plastiksitzen, eingerahmt von zwei Dutzend Türen aus denen alle paar Minuten ein Name gebrüllt wird. Binnen Minuten bin ich dran. Karime wird sogleich für mein Übersetzer gehalten und die Schwester amüsiert sich anschließend, dass er sich wie mein Aufpasser ganz selbstverständlich direkt vor die Ärztin setzt. Dazu muss man sagen, dass Karime mir, wenn es um Gesundheitsfragen geht, nicht sonderlich viel zutraut. Er denkt, dass ich mindestens in der Top10 der tolpatschigsten Menschen der Welt liege und teilt mir auch ohne mit der Wimper zu zucken mit, dass er auf jeden Fall mit ins Arztzimmer kommt, da Chaotenkatrin die Wehwehchen bestimmt nicht umfassend erklären kann. Dazu muss man auch sagen, dass Karime bereits zum Arzt geht, wenn er 37,1° Fieber hat oder ein Kribbeln am Po und daher quasi ein Arztzimmerprofi ist. Mein fürsorgender Freund lässt also nix anbrennen und wir zeigen mit vier Händen auf die roten Punkte auf meinen Beinen. Nach 10 Minuten Behandlung werde ich zur hauseigenen Apotheke und Kasse geschickt. Der Spaß kostet mich samt Medikamente nur knapp 500 Baht (12 Euro). In Deutschland saß ich kürzlich mit dick entzündeter Handgelenksnaht fünf Stunden in der Notaufnahme. Das ist hier fast nicht vorstellbar, aber vielleicht hatten wir auch nur Glück oder einen Ausländerbonus. Das wiederum ist in Deutschland fast nicht vorstellbar. Thailand – Deutschland 1:0. Ich schlucke die nächsten 7 Tage also täglich 6 Anti-Histamin und Kortisontabletten. Gemeinsam mit den Iboprofen, die ich bereits gegen das Jucken genommen habe, und den 4 Antibiotikacrèmes, die ich auf meinen Beinen verschmiert habe, werde ich in diesen ersten drei Urlaubswochen wohl mehr Medikamente nehmen, als in den letzten 10 Jahren zusammen. Tropen, yeah. Um den angebrochenen Tag noch für etwas Sinnvolles zu nutzen, chartern wir spontan ein Tuktuk und fahren raus zur Höhle Tam Topo, in der eine große Buddhastatue stehen soll. Als wir ankommen, dämmert es bereits und so versuchen wir den Fahrer mit wedelnden Geldscheinen zu überzeugen, dass er eine Stunde auf uns wartet und uns dann zurückfährt. Der höfliche Mann windet sich auf seinem Sitz hin und her und dreht dann doch, kopfschüttelnd, ganz schnell um und verschwindet im Dickicht der grasüberwucherten Straße, seinem heißen Feierabend-Nudeltopf entgegendüsend. Wir vier Musketiere sprechen uns gegenseitig Mut zu und erkunden mit Handykameras die dunkle Höhle. Als Karime entdeckt, dass wir auf zentimeterdickem Fledermauskot laufen, ist er auch schon schwupps wieder draußen. Totti, Philipp und ich fühlen uns abenteuerlustig und laufen schließlich immer tiefer in die Höhle hinein. Die Fledermäuse quietschen nervös. Karimes Neugier siegt schließlich über den Ekel und wir schießen überblitzte Fotos vor'm großen Buddha, die Fledermäuse nun vollkommen in den Wahnsinn treibend. Schnell schlüpfen wir wieder aus der Höhle und wandern im letzten Sonnenlicht zurück zur Straße. Daumen raus und ein freundliches Ehepaar hält direkt an. Wir springen auf die Ladefläche ihres Pick-Ups und fahren zurück nach Chiang Rai und zu unserem wohlverdienten Abendessen auf dem Nachtmarkt. Dort kaufe ich mir Kaugummizigaretten und erzähle, die angesabberte Fluppe zwischen den Zähnen und mit waschechtem Cowboygenuschel, allen, die zuhören wollen, philosophischen Unsinn.
Tag 18 – Golden Triangle
Tour-Tag zum Goldenen Dreieck. Unser angeheuerter Fahrer samt Minivan holt uns um 9 Uhr vom Hotel ab und wir fahren zum White Tempel, ein modernes, sehr kitschiges, aber berühmtes Bauwerk des thailändischen Architekten Chalermchai Kositpipat. Der Tempel ist noch nicht ganz fertig und so können wir die Künstler dabei beobachten, wie sie Fresken und Wandmalereien an die Innenwände pinseln. Neben Buddhabildnissen pflastern hier Comic- und Superhelden die Wände, Flugzeuge, die an Benzinschläuche der Ölindustrie angeschlossen sind, fliegen in die Zwillingstürme, Teufel spielen mit Göttern, Verzierungen entpuppen sich als wiederkehrende Muster aus Waffen und Granaten, Bilder zeigen missbrauchte und geschlagene Frauen, an anderer Ecke entdecke ich Michael Jackson, Dollarzeichen, Gasmasken und Neo aus Matrix. Eine perfekt gebastelte Mischung aus Verschwörungstheorien, westlichem Einfluss und Niedergang. Über allem thront der Buddha. Fotos dürfen keine gemacht werden. Ganze Schulklassen werden durch den Tempel geschleust. Alle tragen dieselben Trainingsanzüge und Turnschuhe, die man bei uns im Kung Fu Laden kaufen kann, und ich alte Kommunistin erträume mich gedankenversunken auch in so einen Trainingsanzug und überlege, wie das wohl ist, morgens in Reih' und Glied auf dem Schulhof Frühsport zu machen, so wie ich es einmal in einer Grundschule gesehen habe, als ich heimlich um 8 Uhr morgens allein durch die Straßen gezogen bin und über eine Schulmauer geschielt habe, bis die Kinder mich entdeckten und alle zu winken anfingen. Vielleicht will ich romantisierende Möchtegern-Anti-Kapitalistin auch einfach nur solche Turnschuhe haben. Nächster Stop: Black House. Wenn der weiße Tempel Reinheit symbolisieren soll, dann ist dies wohl der Todestempel. Die Hütten des Gartens dienen vielleicht verschiedenen Kulten als Heimstätte, hier kann man zwischen riesigen Holzpenisen, Elefantenskeletten und Tierhäuten auf jeden Fall perfekt über die Dualität von Tod und Leben meditieren. Ein beeindruckender, irgendwie irrer Ort. Ich nehme mir vor, irgendwann hierher zurückzukommen. Wir fahren weiter und sind nach circa einer Stunde in Mae Sai an der Grenze zu Myanmar, das von den Thailändern weiter beharrlich Birma oder Burma genannt wird. Mae Sai ist die nördlichste Stadt Thailands und so machen wir unser Touristenbild vor dem Straßenschild und patschen unsere Füße einmal in den Mekong. Ein etwa elfjähriges Mädchen folgt uns auf Schritt und Tritt. Schüchtern und herzlich warm ist ihr Lächeln, doch es weicht oft einem traurigen und ernsten Blick. Ihr Shirt hängt etwas ausgelabbert an den dünnen Schultern und ich wünsche mir mal wieder, jemand könnte mir all meine Fragen beantworten. Ich schenke ihr eine Handvoll gebrannte Maronen und für einen kurzen Moment freuen wir uns beide. Vielleicht hat sie auch schon mal an einer Mauer gestanden und die Mädchen in der Schuluniform beobachtet. Es ist Freitag 13:00 im Ganztagsschulland Thailand. Eine Stunde später stehen wir auf einem Hügel am Goldenen Dreieck. Links Myanmar, rechts Laos. Unser Guide zeigt auf die Häuser im Wald von Myanmar und sagt, das eine sei eine Drogenfabrik, das andere ein Kasino. Es ist nicht alles nur Mythos im Goldenen Dreieck. Nach einem Stop im Opiummuseum und meinem obligatorischen Rotee, ein sehr fettiger, frisch gebratener Eierkuchen, der mit Banane und süßer Sahne gefüllt und mit flüssiger Schokolade verziert wird – meinem Ersatzopium, fahren wir zum letzten Stop der Tagestour, einem alten Tempel in Chian Saen, zu dem wir alle nichts wissen und zu dem uns der Guide auch nichts erklärt. Doch es ist eigentlich egal, denn es dämmert, die Tempelruinen schimmern rot in der Abendsonne, die jungen Novizen in ihren safranfarbenen Roben bekommen gerade im neuen Buddhatempel ihre letzte Unterrichtslektion, wir hauen ein paar Mal auf den großen Meditationsgong, ein lautes „Ohm“ strömt durch die seichte Abendbrise, und ein schöner Tag geht zu Ende.
Tag 19
Wir machen etwas, was ich eigentlich per se doof finde, und es aus purem Hedonismus einfach mal gemacht haben will, auch weil es in dem Dorf, in welchem wir heute landen, das einzige angebotene Transportmittel ist: Wir gehen Elefantenreiten. Am Morgen chartern wir ein Holz-Boot nach Ruamit, ein Dorf westlich von Chiang Rai am Fluss Kok. Mit diesen langgezogenen Holzbooten sind wir bereits durch Ayutthaya gefahren und sie sind sowas wie das thailändische Wassertaxi. Verstärkt mit einem Motor, der sicher mal in einen LKW gehörte, zischen die schmalen Barken auch recht fix durch das Wasser. Wir teilen uns das Boot nach Ruamit mit einem französischen, älteren Ehepaar, denen ich auf ihren verstörten Blick hin erst einmal die Geschichte zu meinen gefleckten Beinen erklären muss, und mit einem jungen Pärchen samt einjähriger Tochter, die sich prompt schwer in Philipp verliebt und eine geschlagene Stunde intensiv mit seiner Hand spielt. In Ruamit angekommen werden wir direkt auf den nächsten Elefant verfrachtet und wackeln eine halbe Stunde durch das Dorf und über die Felder. Zirkus für Pauschaltouristen. Bereits nach einer Minute sind Karime und ich heilfroh, dass wir nicht die zweistündige Tour gebucht haben, denn wir schwanken so sehr auf unserem Hochsitz, dass ich unweigerlich grübeln muss, ob die Seile wohl halten oder ob wir hier gleich aus drei oder vier Metern Höhe auf den Boden klatschen. Wir hätten es wohl verdient. Anschließend versuchen wir erfolglos Fahrräder auszuleihen. Keine Fahrräder, keine Taxis, und der einzige Weg zu den Wasserfällen und Dörfern in der Nähe führt über den Rücken der Elefanten. Wir sind ernüchtert. Schlauere Rucksacktouristen brausen mit ihren in Chiang Rai geliehenen Scootern an uns vorbei. Totti und ich versuchen eine Weile lieb lächelnd die Daumen-raus-Methode, während sich Karime und Philipp hinter der Straßenecke verstecken, doch alle Pick Up Fahrer lassen uns ohne mit der Wimper zu zucken im Staub stehen. Eigentlich ist das Dorf ganz interessant. Die Familien wohnen in Teakholzhäusern, deren offenen Terrassen zur Straßenseite der Mittelpunkt des täglichen Lebens sind. Hier dösen im Moment ältere Frauen und Männer in der Mittagshitze. Einige haben kleine Stände, an denen sie ein paar Früchte und Gemüse verkaufen. Hinter den Häusern erstrecken sich die Mais- und die bereits abgeernteten Reisfelder. Wir schlendern ein paar Gassen entlang und lugen in die Häuschen. Vorbei fahrende Jugendliche auf Rollern beäugen uns skeptisch. Ab und zu trottet ein Elefant vorbei, den einheimischen Elefantendompteur im Nacken und zwei Fotos knipsende Touris auf dem Rücken. Das Leben schlurft sich so dahin. Wir laufen zurück zum Bootspier und finden – nichts. Ein paar gelangweilte Elefantenführer warten auf Kundschaft, doch kein Boot ist in Sicht. Wir fragen mit Händen und Füßen, wann das nächste Boot kommt und die thailändische Antwort klingt ein bisschen nach „irgendwann“ und „keine Ahnung, Elefant?“. Ich vertreibe mir die Zeit an einem der wenigen Souvenirshops und probiere Mützen. Kein Verkäufer quatscht mich voll, tatsächlich ist weit und breit niemand zu sehen. Irgendwann entdecke ich eine Barke am Ufer und klettere runter zum Fahrer. Der schenkt mir zunächst überhaupt gar keine Aufmerksamkeit. Ich hocke mich erstmal daneben und gucke ihn eine Weile an. Als er mir einen Blick gönnt, winke ich wie wild Richtung Chiang Rai und gucke fragend. Er sagt irgendwas wie „Nein, vielleicht, mal gucken“, telefoniert und verschwindet auf seinem Roller Richtung Dorf. Wir stehen und warten. Fünf Minuten später kommt eine Barke zielgerichtet zu uns an Ufer. Der Mann hat uns also ein Wassertaxi bestellt und der nette Fahrer, der nun ohne weiteres Wucher verlangen könnte, tut's nicht. Wir sind dankbar und erfahren wieder mal, dass es immer eine Lösung gibt. Und in Thailand passieren diese meist ganz unaufgeregt. Am frühen Abend schlendern wir am Kok River entlang bis zum Food Market. Jeder verschwindet im Getümmel und wir treffen uns mit Paniertem, Frittiertem, Gekochtem und Gebratenem in der Mitte des Bazars zum Abendessen wieder. Seit unserer Billardnacht läuft ein offizieller 'Ladies gegen Gentlemen' Wettkampf, Totti und ich gegen Karime und Philipp in allem, wo einer gewinnen kann. Unter meinem leisen Protest werden fette Raupen, Heuschrecken und Käfer gekauft. Totti guckt so, als würde sie diese auch freiwillig essen und ich lasse ihr gönnerhaft den Vortritt. Karime, der seine Unsicherheit immer perfekt überspielt, in dem er einfach den absoluten Profi mimt, reißt zielsicher dem fettesten Käfer alle Beine und Flügel aus, dreht ihm den Kopf ab und steckt sich das eklige Ding ohne weiter drüber nachzudenken in den Mund. Totti probiert die Raupe. Beiden sehen weniger angeekelt aus als ich. Schmeckt nach alten Chips, meinen die neuen Madenfachmänner und -frauen. Ich verzichte trotzdem und hole mir wie fast jeden Abend meinen Teller Pad Thai, gebratenen Nudeln mit Ei, Gemüse und eine Limette zum drüber träufeln beim Muslim Food Stand. Meine Pluspunkte bei Allah mache ich eine Stunde später in der Tepee Happy Hippie Bar zunichte, wo ich mir eine thailändische Sang Som Rum Cola nach der anderen in den Kopf schütte. Um kurz nach Mitternacht beschließe ich, dass eine Portion Reis mit Pilzen die Alkoholsuppe in meinem Magen am besten aufsaugt und wir gehen über die Straße zur Boss-Oma. Es ist 0:30, Bundesliga beginnt und es spielt Dortmund gegen Bayern. Wir beschlagnahmen den Großbildfernseher und finden tatsächlich eine Pikobello-Übertragung mit thailändischen Kommentaren. In Deutschland nur mit Premiere, in Thailand Bundesliga für jedermann_frau. Thailand – Deutschland 2:0. 90 Minuten lang fürchte ich, dass die Boss-Oma kommt und kommentarlos auf ihre Telenovella umstellt, und nach dem Abpfiff wünschte ich mir, ich hätte mehr Sang Som Cola getrunken. Naja, Klopp richtet das schon und ich bin morgen nach dem Aufwachen immer noch in Thailand. Das Leben ist zurzeit gut zu uns.