16.11.14 bis 18.11.14 Ajmer – Agra

Nach einer fiebrigen Nacht in Ajmer und einem kleinen Stadtbummel zur berühmten Moschee fahren wir zum Bahnhof. Unser Zug verspätet sich um mehrere Stunden und wir erreichen Agra nicht um 19 Uhr, sondern erst um 5 Uhr morgens. Wieder frieren wir im Zug. Alle Mitfahrer binden sich Schal und Tücher um Hals und Köpfe und frösteln unter der Klimaanlage, für die sie teure Rupees bezahlt haben. Doch niemand meckert, nie. Eine Stunde vor Ankunft dreht der Zugbegleiter die Pustedüsen noch einmal etwas kälter.
Wir klopfen mit dem Sonnenaufgang an der Tür des Sai Palace Hotels. Alle Zimmer sind noch belegt, doch der müde Hotelmanager gibt uns einen Ruheraum mit einem äußerst schmalen, sehr harten Bett, nicht viel mehr als eine kleine Mönchszelle, in der die Farbe von der Wand bröselt. Wir quetschen uns auf die Liege und kämpfen so lange um das kleine fleckige Kissen, bis wir beide Kopf an Kopf wegschlummern. Gegen 10 Uhr bekommen wir ein Zimmer. Ich verlasse es an diesem Tag nicht mehr. Mein Fieber steigt auf 40,4 °C und ich bleibe zwei weitere Tage im Bett, will nicht denken und schaue Bundesliga auf unserem Satelliten-TV und Hollywoodfilme, in denen die Welt untergeht.

19.11.14 Agra

Karime hat einen neuen Freund gefunden. Er heißt Eden und kommt aus Tel Aviv. Beide haben dieses große, leuchtende Lächeln, das jeden sofort um den Finger wickelt, sitzen hübsch auf der Dachterrasse rum und maniküren sich, beide gleich obsessiv, mit dem Schweizer Taschenmesser die Finger. Ich sehe zwei Brüder im Geiste. Eden ist Geiger. Endlich weiß ich, dass ich nicht verrückt geworden bin. Es war Edens Musik, welche mir zwei Tage lang ins Ohr säuselte. Ich bestelle Spaghetti mit Tomatensoße und esse ungefähr ein Achtel davon. Wieder guckt der Koch traurig auf meinen Teller. Sollte ich noch länger hier bleiben, wird er vermutlich aus Frust seine Schürze an den Nagel hängen. Am Vormittag hat Karime den Taj Mahal besucht. Wir haben Glück, denn einmal im Jahr ist der Eintritt umsonst und dieser Tag ist heute. Am Nachmittag raffe ich mich auf die wackeligen Beine und laufe ganz langsam durch die staubigen Straßen zum Südeingang des großen Mausoleums. Mit verkniffenen Augen blinzele ich in den gleißenden Nachmittag und lasse mich von Damen in Camouflage abtasten, laufe durch den Metalldetektor und stehe plötzlich davor. Vielleicht steigern meine Verfassung oder die endlosen Stunden in meiner dunklen Hotelhöhle meine Sentimentalität, aber ich erstarre kurz vor Überwältigung, als ich den Taj durch das riesige, rote Sandsteintor erblicke. Es ist dieser perfekte Postkartenmoment, welcher sich für alle Ewigkeit ins Gehirn brennt. Es ist die Kombination dieses roten Tores, geschmückt in Koranversen, der Wasserstraßen und der weichen, hellen Marmorsilhouette des Taj Mahals im Hintergrund, die ein perfektes Bild erschafft. Minutenlang stehe ich festgewurzelt und schaue nur. Dann laufen wir dem Taj entgegen. Im Westen neigt sich die Sonne und hüllt Tore und Taj in eine orange Samthaut. Im persischen Garten wimmeln Touristen umher und buhlen um die besten Fotoplätze. Wir setzen uns auf die kalten Marmorsteine und schauen dem Treiben zu. Meine Schritte sind noch wackelig und zaghaft, meine Lunge pocht, doch ich genieße diesen Moment. Wie clever dieses Gebäude errichtet wurde. Die Pishtaqs zu allen Seiten werden von Koranversen eingerahmt, deren Schrift nach oben hin fast unmerklich größer wird, was sie von der Plattform gleichmäßig und perfekt lesbar erscheinen lässt. Filigrane Steinmetzarbeiten zieren Innen- und Außenwände. Ich bin normalerweise wenig beeindruckt von monströsen Bauwerken, spiegeln sie doch Prunk, Reichtum und Gier. Doch wer kann sich dem Zauber des Taj’ entziehen, welcher aus Liebe zu einer Frau erbaut wurde? Mumtaz!

20.11.14 Agra

Karime steht mit der Sonne auf und verbringt noch einmal Stunden mit dem Taj Mahal. Ich hatte das Gleiche vor, doch das Thermometer gibt den Ton an und es brüllt 40+°C. Meine Antibiotika sind verbraucht und ich fühle mich eigentlich so gar nicht besser. Und doch kann ich auch stolz auf meinen Körper sein. Er kämpft seit einer Woche auf Hochtouren gegen alle Eindringlinge. In meiner Lunge spielt sich vermutlich momentan Star Wars ab, jeder gegen jeden und mittendrin die Antibiotika, die einfach alles niedermetzeln und nur Unsinn anstellen.
Ich gehe wieder zum Arzt. Und wieder ist es eine Privatklinik, eine private Privatklinik für Privatpatienten. Die Ärztin hat blinkende Dollarzeichen in den Augen, als sie meine Geschichte hört; innerhalb einer Minute habe ich ein Zimmer und werde in einen Röntgenraum geschoben, in welchem ein Kollege bereits mit der Metallschürze wedelt. Während sie meinen Pass und meine Krankenkassenkarte einscannt und etwas von mindestens 30 000 Rupees pro Nachtaufenthalt – der unbedingt nötig sei – murmelt, kriege ich ein sehr schlechtes Gefühl, fliehe quasi im letzten Moment aus der Metallschürze und mit Karime aus der Klinik. Ein klärender Anruf bei der Krankenkasse und das war’s. Kein Arzt mehr. Mein Körper kriegt das auch allein hin.
Vielleicht braucht mein Kopf einfach diese Entscheidung. Am Nachmittag sinkt mein Fieber. Wir nutzen den Aufschwung und kaufen zwei Zugtickets nach Varanasi. Ich genieße die wiedergewonnene Geschmeidigkeit in den Gliedern und schlendere alleine durch Agras belebte Gassen, kaufe mir in einer Naturapotheke einen tollen Hustensaft, welcher mir vom sehr netten Apotheker empfohlen wird, dessen Zähne vom Betelnusskauen dunkelrot gefärbt sind, kaufe einen Zehnerpack Tempos, winzige, süße Bananen und Schokokekse am neonbeleuchteten Laden an der Ecke. Hach, das Leben ist so einfach und schön. Karime ist fix und fertig. Legt sich ins Bett und kriegt Fieber. Doch niemand wird so sanft krank wie Karime. Er leidet bei leicht erhöhter Temperatur etwa eine Nacht fürchterlich, stöhnt, schnieft und ächzt, ist unleidlich, verweigert Essen und Bewegung, döst weg, schläft wie ein Bär im Winter und wacht putzmunter wieder auf. So ist es dann auch. Wir packen am Morgen unsere Sachen und fahren zum Busbahnhof von Agra.


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